Eine Zeitreise mit dem deutschen Capoeira-Pionier Dirk Hegmanns
Wer mit der Capoeira noch vor der Zeit sozialer Netzwerke angefangen hat, kennt seinen Namen eventuell vom Cover eines der wenigen Bücher, die auf Deutsch zum Thema Capoeira erschienen sind. Dirk Hegmanns hat bereits in den 80er Jahren im Nordosten Brasiliens Capoeira erlernt und über ihre Techniken und Kultur das Buch „Capoeira – Die Kultur des Widerstandes“ geschrieben. Außerdem ist er einer der Pioniere, die begannen, in Deutschland Capoeira zu unterrichten (der erste Deutsche, der mir bekannt ist). Als wir uns zum Skype-Interview treffen, ist er gerade von einem fünfjährigen beruflichen Auslandsaufenthalt zurückgekehrt und erklärt sich sofort bereit, mir meine Fragen zu beantworten.
Dirk, wie und wo kamst du zur Capoeira?
Ich war in den 80er Jahren als Student im Nordosten von Brasilien und habe dort sowohl meine Diplom-, als auch meine Doktorarbeit verfasst. Ich betrieb dort in den Favelas Forschungen und bin so unter anderem auf die Geschichte von Palmares gestoßen.
In Olinda habe ich dann das erste Mal Capoeira gesehen und der Sport übte sofort eine ungeheure Faszination auf mich aus. Damals trainierte ich eigentlich Karate. In der Capoeira Regional gibt es ja auch einige Parallelen zu klassischen asiatischen Kampfkünsten, mit denen ich ja bereits vertraut war.
Der Mestre der dortigen Capoeira-Gruppe war Mestre Sapo. Als ich dort vorstellig wurde und fragte, ob er mich unterrichten würde, war er erst mal total überrascht. Ein Gringo als Capoeirista – das war damals fast unvorstellbar! Aber er willigte ein und es machte riesigen Spaß! Auch seine Schüler akzeptierten mich nach und nach und freuten sich über mein Interesse an ihrer Kultur.
Du bist einer der deutschen Capoeira-Pioniere. Wie war es, hier ganz allein eine eigene Gruppe aufzubauen und wie habt Ihr Euch mit anderen Capoeiristas vernetzt?
Nun, als ich wieder zurück in Deutschland war, wollte ich gern mit Capoeira weitermachen, aber natürlich gab es hier nirgends ein entsprechendes Angebot. Capoeira war für die Deutschen ja eine völlig neue Sportart und niemand konnte sich auch nur ansatzweise etwas darunter vorstellen! Daher fasste ich den Entschluss, in meiner damaligen Heimatstadt Bielefeld in Kooperation mit dem Landessportbund eine eigene Capoeira-Gruppe aufzubauen. Das war 1988. Zu meiner Überraschung fanden sich auch alsbald die ersten Schüler ein. Viele Frauen kamen, weil sie sich für den „Tanz“-Aspekt interessierten. Die Männer wollten in der Regel primär Kampfsport treiben. Mir war es vor allem wichtig, meinen Schülern nicht nur die Techniken, sondern auch die Kultur der Capoeira zu vermitteln. Vor diesem Hintergrund ist auch mein Buch entstanden.
Dein Buch, das du gerade angesprochen hast, „Die Kultur des Widerstandes“* ist heute laut Amazon eines der Standardwerke über Capoeira, das in deutscher Sprache verfügbar ist. Warum hast du überhaupt ein Buch geschrieben?
Ich fand, dass es bei der Capoeira um Themen ging, die es wert sind, verbreitet zu werden. Es ist ja nicht nur der Sport, sondern vor allem Ausdruck einer afrobrasilianischen Kultur, die ihren Ursprung in der Sklavenzeit und im Widerstand der Sklaven gegen die portugiesischen Unterdrücker hat. Ich wollte mit dem Buch darüber informieren, dass es bei der Capoeira neben Kampfsporttechniken EIGENTLICH um diese Dinge geht. Mittlerweile ist bereits die 6. oder 7. Ausgabe davon erschienen und es ist nach all den Jahren immer noch lesenswert, auch wenn das Fotomaterial zugegebenermaßen etwas abenteuerlich ist. Die Bilder entstanden aus Mangel an professionellem Material nämlich in Eigenregie gemeinsam mit meinen Schülern (lacht).
Zeitgenössische Capoeiristas informieren und vernetzen sich heute natürlich hauptsächlich übers Internet und die verschiedenen sozialen Netzwerke. Für uns heute ist es sehr schwer vorstellbar, wie man ohne diese Medien Gleichgesinnte fand. Wie haben sich Capoeira-Interessierte in den 80er Jahren in Deutschland gefunden?
Während meiner Zeit mit der Gruppe in Bielefeld erfuhr ich zufällig, dass es in Berlin ein Tanzstudio geben sollte, in dem Capoeira unterrichtet wurde. Der Inhaber, Tom Cuson, kam aus den USA. Wir nahmen Kontakt auf und fuhren dann dort auch hin. Nach und nach wurden auch in anderen Landesteilen Workshops angeboten. Damals gab es auch in Kassel regelmäßige Capoeira-Workshops. Mestre Sapo war außerdem Anfang der 90er Jahre nach Europa gekommen und unterrichtete in Zürich, einer seiner Schüler – Nino – gab in Deutschland Unterricht. Auf internationalen Workshops in Hamburg, an denen ich selbst allerdings nie teilgenommen habe, vernetzten sich meine Schüler unter anderem das erste Mal mit Capoeiristas aus Frankreich.
Man muss sich vorstellen, dass die Capoeira-Community in Europa damals sehr übersichtlich war. Kontakte entstanden auf diesen Treffen und durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Man kannte sich einfach. Mit einigen dieser Capoeiristas hatte ich noch lange Kontakt.
Welche Rolle spielt die Capoeira heute in deinem Leben und hältst du noch Kontakt nach Brasilien?
Ich merkte irgendwann, dass ich begann, die körperlichen Strapazen schlechter wegzustecken. Die Akrobatik fiel mir immer schwerer und irgendwann jagte eine Verletzung die nächste. Ende der 90er Jahre befand ich mich gerade beruflich in Mosambique und hatte auch dort eine eigene Capoeira-Gruppe aufgebaut. Aufgrund meiner anhaltenden Verletzungsproblematik entschied ich mich, meine aktive Karriere an den Nagel zu hängen. Die Gruppe führte einer meiner Schüler weiter.
Der Kontakt nach Brasilien besteht nach wie vor. Ich habe eine Wohnung dort und werde in den kommenden Jahren mein Leben wohl auch wieder zu einem Teil dort verbringen.
Dirk, vielen Dank für dieses Gespräch!
* Ich habe auf Amazon verlinkt, damit Ihr die guten Rezensionen des Buches lesen könnt. Dies stellt keine zwingende Empfehlung dar, auf Amazon einzukaufen (support you local Buchhändler) ;)
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